Das Kassel-Projekt

Ländervergleich Deutschland - England

Die FAZ vom 7.2.96 veröffentlichte unter dem Titel "Ein Drittel geteilt durch ein Neuntel" ein Gespräch mit dem Kasseler Mathematik-Professor Werner Blum über eine Langzeitstudie, in der die Leistungen deutscher und englischer Schüler verglichen wurden. Die Studie wurde seit 1993 an den Universitäten Kassel und Exeter durchgeführt. Die Ergebnisse führten zu heftigen Diskussionen in England:

"Im britisch-deutschen Vergleich belegten zwar die die Schüler einer britischen Privatschule den besten Platz. Im Durchschnitt aller Schüler sind nach den Ergebnissen des 'Kassel-Projekts' aber die deutschen Schüler den britischen schon von Klasse acht an überlegen. ... Die Leistungsspitze in England spiegelt nach Ansicht Blums die Elite-Orientierung des englischen Schulwesens, wie sie in der wachsenden Bedeutung der Privatschulen zum Ausdruck komme. Leistungsstarke Schüler würden besonders gefördert, leistungsschwache dagegen nur unzureichend. In Deutschland führe das gemeinsame Unterrichtsgespräch als dominierende Lehr-Lern-Form, das nur ein gemeinsames Vorankommen erlaube, zu einer geringeren Leistungsstreuung. Die 'äußere Differenzierung' der Schüler eines Jahrgangs in Schulzweige mit ähnlichem Leistungsniveau erlaube 'homogenere Lernfortschritte'. ...
Die Deutschen, zeigte die Studie, können vor allem besser rechnen. ... Die Aufgabe 'Ein Drittel geteilt durch ein Neuntel' lösten 61 Prozent der deutschen Schüler, aber nur dreizehn Prozent der englischen.

Nach Ansicht Blums verschafft der Mathematikunterricht den Schülern in Deutschland eine gute Basis. Zu sehr herrsche noch das Praktizieren von Kalkülen vor, obgleich die Notwendigkeit nicht geleugnet werden könne, sich im Mathematikunterricht auch der Mühsal des Kalküls zu unterziehen. Es müsse im Unterricht noch mehr nach dem Sinn bestimmter Berechnungen, nach deren Anwendbarkeit gefragt werden. Der Lehrer solle das Klassenzimmer öffnen und nach draußen gehen. ... Die Kunst des Argumentierens sei der Wesenszug der Mathematik, der im mathematischen Aufsatz geschult werden könnte. Die Rolle der Mathematik als Sprache der Naturwissenschaft sei unverändert wichtig."


Gabriele Kaiser führte in einem Artikel "Vergleichende Untersuchungen zum Mathematikunterricht im englischen und deutschen Schulwesen", der im Journal für Mathematik-Didaktik 2/3 (1997) erschienen ist, weiter aus:

"Der deutsche Mathematikunterricht kann durch seine Theorieorientierung charakterisiert werden, wobei Theorien sich in allgemeinen Regeln und Kalkülen konkretisieren. Der englische Mathematikunterricht ist durch ein pragmatisches Theorieverständnis beschreibbar, worunter ich ein praktisches, zweckgebundenes Umgehen mit Theorie verstehe.
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So zeigte sich bei den englischen Lernenden eine ausgeprägte, allerdings dünne Leistungsspitze, ein relativ flacher mittlerer Bereich und ein sehr großer Bereich niedriger Punkte. Bei den deutschen Lernenden fällt demgegenüber der breite mittlere Leistungsbereich auf, wobei eine Hochleistungsspitze fast völlig fehlt und der leistungsschwache Bereich deutlich schwächer ist."

 

© Elschenbroich, Mathe-Werkstatt 03/2001