Beitrag zur "Podiumsdiskussion zur Lage der Lehrerausbildung an der
Universität"
auf der Fachtagung "Computeralgebra im Mathematikunterricht", Münster
Mai 1997
Hans-Jürgen Elschenbroich
0. Vorbemerkung
Es geht im Vorfeld der Überlegungen zur Reform der Lehrerausbildung im wesentlichen um eine Defizit-Analyse. Die angesprochenen Aspekte entstammen aus zahlreichen Gesprächen mit Referendaren, Fachleitern und Lehrern, die in Staatsexamensprüfungen tätig sind. Natürlich können diese Gespräche nicht den Anspruch einer empirischen Untersuchung haben, es wurden von nur Aspekte aufgezählt, die mir typisch erschienen.
Zu allen angesprochenen Mängeln gibt es an einzelnen Stellen sicher positive Gegenbeispiele, aber die prägen nicht das Gesamtbild.
Diejenigen
Hochschullehrer, die hier teilnehmen, sind eigentlich die falschen Adressaten,
da es sich sicher um die handelt, die sich in der Ausbildung viel Mühe geben.
1. Zum Fachstudium
Oft werden die Lehramtsstudenten auch von den Dozenten nur als Studenten zweiter Klasse behandelt. In der Regel gibt es keine speziellen Angebote für das Lehramt (wohl aber z. B. Mathematik für Naturwissenschaftler oder Mediziner!). Es werden von der Zielsetzung her Forscher ausgebildet, keine Lehrer.
Die Studiengänge und Vorlesungen sind zu sehr auf den Diplomstudiengang ausgerichtet, es gibt kein echtes eigenes Ausbildungsprofil für das Lehramt, obwohl die Lehramtsstudenten eine sehr große Gruppe, meist sogar die größte Gruppe bilden.
Der aus Sicht der Hochschulen verständliche Grund dafür ist, die Gleichwertigkeit des Diplom- und Staatsexamens-Abschlusses und die Durchlässigkeit der Studiengänge zu erhalten.
Die derzeitige Ausbildung ist zu umfangreich, an vielen Stellen auch zu speziell, in der Regel ohne jegliche Querverbindung zur Fachdidaktik und vor allem nicht auf die Schulpraxis bezogen (z. B. fehlt in der Regel Ebene Geometrie und meistens auch Stochastik).
Computereinsatz
findet zwar schon zunehmend statt, ist aber immer noch sporadisch und punktuell.
2. Zum Erziehungswissenschaftlichen Begleitstudium
Es
ist zu sehr auf das wissenschaftliche Arbeiten als erziehungswissenschaftliches
Mini-Studium ausgelegt, zu abgehoben und zu theoretisch.
In der Regel gibt es keinen Bezug zum Schulalltag und auch nicht zu den
Schulpraktika der 1. Phase der Ausbildung.
3. Zur Fachdidaktischen Ausbildung
An vielen Hochschulen wird Fachdidaktik nur stiefmütterlich behandelt, als minderwertig angesehen oder gar für überflüssig erachtet und entsprechende Stellen gestrichen oder umgewidmet.
Es gibt an den Hochschulen zuwenig Didaktik-Professuren und unter den Didaktik-Professoren zuwenig mit mehrjähriger Schulerfahrung. Hier macht sich negativ bemerkbar, dass bei der Berufungspraxis die Habilitation höher gewertet wird als die Unterrichtserfahrung und pädagogische Eignung.
In
den meisten Fällen haben die Fachdidaktik-Seminare zu wenig mit der Schulpraxis
zu tun.
Von Referendaren werden bemerkenswerterweise rückblickend vor allem diejenigen
Veranstaltungen als hilfreich und nützlich eingeschätzt, die von
praktizierenden Lehrern mit einem Lehrauftrag an der Hochschule durchgeführt
wurden oder von Dozenten mit früherer langjähriger Unterrichtserfahrung.
Es kam auch häufig vor, dass in fachdidaktischen Veranstaltung es gar nicht um Didaktik ging, sondern einfach fachwissenschaftliche Veranstaltungen durchgeführt wurden, die nur nicht zum verbindlichen Stoff gehörten und in extremen Fällen nur das Steckenpferd des jeweiligen Dozenten waren.
Die Fachdidaktik an der Hochschule läuft in den meisten Fällen nicht nur völlig abgekoppelt von der Fachwissenschaft und von der Schule, sondern auch völlig abgekoppelt von den Studienseminaren, die die zweite Phase der Lehrerausbildung durchführen.
Als
hinderlich für die Vermittlung von Mathematik erweist es sich auch, dass die
Mathematik in der Regel zeitlos und geschichtslos gelehrt und gelernt wurde.
4. Zum Unterrichtspraktikum
Es gibt große Unterschiede in der Durchführung an den einzelnen Hochschulen. Teilweise werden sie sehr engagiert durchgeführt und intensiv betreut, teilweise werden die Studenten völlig allein gelassen und es wird nach Vorlegen einer Teilnahmebestätigung der Schule eine Bescheinigung ausgestellt.
Nur
an einigen Hochschulen gab es auch ein intensives EW-Blockpraktikum an den
Schulen.
5. S I-Zusatzprüfung für S II Lehrer
Diese ist meines Erachtens in der vorliegenden Form Unsinn.
Es geht ja dabei nicht darum, ob ein Kandidat die wissenschaftliche oder pädagogische Befähigung hat, Lehrer zu werden, sondern darum, ob jemand, der ein S II-Examen hat, auch in der S I unterrichten darf (was er in der Regel sowieso macht) oder nicht.
Professoren,
die keine Ahnung haben, was in der S I anliegt, stellen Studenten, die davon
auch keine Ahnung haben (können), aus lauter Verzweiflung völlig sinnlose
Fragen.
Solange es im Studium nichts S I-Relevantes gibt, muss dies eine Farce bleiben.
6. Vorschläge zur Lehramtsanwärter-Ausbildung
Leitline:
Es geht
nicht in erster Linie darum, Experten für das Fach Mathematik herauszubilden,
sondern Experten für Lernprozesse.
Man muss zuerst darüber nachdenken, ob man mit allen Vor- und Nachteilen ein eigenständiges, vom Diplomstudiengang abgekoppeltes Lehramtsstudium will oder ob das Staatsexamen als zweites Diplom organisiert werden soll. Wenn aber eine Reform der Ausbildung zur Einführung von schlecht ausgebildeten und schlechter bezahlten Billiglehrern benutzt wird, wird dies in Schule und Hochschule nicht auf Akzeptanz und Unterstützung stoßen.
Das Studium sollte in den fachwissenschaftlichen Vorlesungen schlanker werden und mehr spezielle Vorlesungen für das Lehramt auch schon mit Schulbezügen enthalten. Um eine gewisse Durchlässigkeit der Studiengänge zu erhalten und das Lehrangebot nicht unökonomisch aufzusplittern, sollte der 1. Abschnitt bis zur Zwischenprüfung mit den Diplom-Studenten gemeinsam durchgeführt werden. Danach sollten verstärkt Unterrichtspraktika, fachdidaktische Veranstaltungen und spezielle Veranstaltungen für Lehramtsstudenten durchgeführt werden.
Didaktik-Dozenten sollten mehrjährige Schulerfahrung haben und es sollten verstärkt praktizierende Lehrer mit Lehraufträgen und mit Abordnungen eingesetzt werden und die Hochschulen sollten verstärkt die Rückkopplung mit der Referendar-Ausbildung suchen.
Die Didaktik sollte in der Ausbildung ein größeres Gewicht und mehr Bedeutung bekommen und mehr mit den fachwissenschaftlichen Aspekten verzahnt werden. Die Schulpraktika haben eine Schlüsselstellung. Sie sollten ausgebaut werden und in beiden Fächern durchgeführt werden und als EW-Praktikum. Fachdidaktik und EW-Begleitstudium sollten eine stärkeren Schulpraxisbezug erhalten und deshalb mit den Schulpraktika verzahnt werden.
Geschichtliche
Aspekte der Mathematik sollten verbindlich sein, entweder in den Vorlesungen
integriert oder als eigene Veranstaltungen.
Stochastik sollte verbindlich sein (speziell fürs Lehramt gehalten, nicht
als allgemeine Maßtheorie).
Ebene Geometrie und Elemente der Darstellenden Geometrie sollten verbindlich
sein.
Der Computereinsatz sollte zur Selbstverständlichkeit werden
(Tabellenkalkulation, CAS, Dynamische Geometrie-Software, Modellbildung und
Simulation) und durchgängig benutzt werden.
Dass ernsthaft die unsinnigen S I-Zusatzprüfungen angegangen werden, kann ich mir nicht vorstellen, deshalb gibt es dazu keine Vorschläge!
Teilnehmer
an der Podiumsdiskussion:
Frau Barzel, Herr Elschenbroich, Herr Dr. Kutzler, Herr Löseke, Herr Prof. Dr.
Schmitz, Herr Woestmann, Fachschaft Mathematik.
© Elschenbroich, Mathe-Werkstatt 03/2001