Die Ergebnisse der TIMS-Studie haben Anlass gegeben, über den Mathematikunterricht und seine grundlegende Konzeption nachzudenken. Was aber noch weitgehend brachliegt, ist ein geschlossenes Konzept zur Ausbildung und Fortbildung der Mathematiklehrer.
Was
tragen die beteiligten Institutionen zur Qualifizierung der Mathematik-Lehrer
bei?
In
den Hochschulen in der ersten Phase der Lehrerausbildung wird (zu) häufig noch
eine Vorlesung im Stile der 70er Jahre gehalten. Didaktik spielt bis auf wenige
Ausnahmen eine Nebenrolle. Die Schulpraktika haben einen zu geringen
Stellenwert. Die Studienseminare in der zweiten Phase der Lehrerausbildung haben
erst einmal damit zu tun, das bei den Referendaren vorhandene Bild von
Mathematik und Mathematik-Lehren/ -Lernen aufzubrechen. Auch ist höchst
fraglich, ob die Ausrichtung auf wochenlang vorbereitete Einzelstunden auf
eine Tätigkeit als Lehrer angemessen vorbereitet. Der Einfluss der
Studienseminare ist zudem zeitlich sehr begrenzt, in der Berufsanfangsphase ist
der junge Lehrer auf sich allein gestellt und fällt oft in alte Schemata zurück.
Die amtlichen und freien Institutionen der Lehrerfortbildung haben sich zu einem
Biotop für Interessierte entwickelt. Sie wenden sich an den Kreis, der es am
wenigsten nötig hätte, eine Breitenwirkung wird nicht in erforderlichem Maße
erreicht. Die Schulaufsicht und Schulleitungen sind völlig überlastet, die
Fachberater sind hauptsächlich Berater der Dezernenten, nicht der Kollegen.
Die Schulpolitik demonstriert bei aktuellen und öffentlichkeitswirksamen Themen
hektisch Aktivität. Seit langem geht die reale Bildungspolitik aber nach dem
Motto „Wir können nicht gut, wir können nur billig!“. 1999 stand
beispielsweise im Haushalt des Landes NRW die stolze Summe von 110 DM pro Lehrer
und Jahr zur Verfügung!
Nachdem viele Jahre eine kurzsichtige (Nicht-)Einstellungspolitik betrieben
wurde, gibt es nun hektische Maßnahmen, Lehrerinnen und Lehrer aus
Nicht-Mangelfächern innerhalb eines Jahres umzuschulen. Eine dringend
notwendige Betreuung nach Abschluss des Crash-Kurses findet nicht statt. Dies
erzeugt den fatalen Eindruck, dass es einer jahrelangen Ausbildung zum
Mathematiklehrer nicht bedarf.
Es fehlt ein materieller Anreiz für guten Unterricht und für Weiterbildung.
Wer sich als Lehrer regelmäßig fortbildet, bekommt nicht mehr Gehalt als
jemand, der das nicht tut. Beförderungen gibt es nicht für guten Unterricht,
sondern praktisch immer in Verbindung mit Verwaltungstätigkeiten.
Fazit
Wer sorgt dann für die Aus- und Fortbildung? Im wesentlichen der
einzelne Lehrer selber! Die für die Ausbildung der Lehrerpersönlichkeiten zuständigen
Institutionen tragen (zu) wenig zur Erfüllung dieser Aufgabe bei, nicht zuletzt
deshalb, weil sie weitgehend isoliert statt integriert agieren.
Vision
...
Wie
kann man nun zu einem tragfähigen Konzept einer Lehrerbildung vom Studium bis
zum Berufsende kommen?
Dazu müsste zum einen das festgefahrene Bild von Mathematik und Mathematiklehren/ Mathematiklernen verändert und an den Hochschulen Fachdidaktik ein selbstverständlicher und respektierter Bestandteil werden.
Dazu müsste es engere Verzahnungen von Studienseminaren und Hochschulen geben mit gemeinsam durchgeführten Schulpraktika und Didaktik-Lehraufträgen für qualifizierte Fachleiter.
Dazu müsste die Lehrerfortbildung stärker sowohl mit Hochschulen als auch mit Studienseminaren verbunden werden. Sie müsste das Dogma der freiwilligen Teilnahme (zumindest teilweise) aufgeben. Berufsbegleitende fachliche, fachdidaktische und sozialpädagogische Qualifizierungsprozesse müssen selbstverständlich werden.
Dazu müssten den Schulen angemessen Mittel für allgemein-pädagogische, fachliche oder individuelle Qualifizierung zur Verfügung stehen. Dann würden sich schnell entsprechende Angebote von Hochschulen, Seminaren, amtlichen und freien Lehrerfortbildungsorganisationen ausbilden.
Dazu müsste die Fachaufsicht ihr preußisches Selbstverständnis ändern und moderne Techniken des Personalmanagements nutzen.
Dazu müsste die Bildungspolitik ein Gesamtkonzept von Lehrer-Qualifikation entwerfen und umsetzen. Bildungspolitik ist viel mehr als Schulpolitik im engeren Sinne, nämlich auch ein Teil Finanzpolitik.
...
und Realität?
Nach
den bisherigen Erfahrungen besteht eigentlich wenig Grund zur Hoffnung.
Vielleicht ist aber doch die Zeit reif ...
Hans-Jürgen
Elschenbroich
Fachleiter
am Studienseminar S II Neuss
Veröffentlicht in: MNU 3/01
© Elschenbroich, Mathe-Werkstatt 04/2001