PISA: Die Einstellung ist schief!


Was ist neu an den Ergebnissen von PISA?
Seit der Veröffentlichung der PISA-Studie sind die Medien voll von Berichten, dass deutsche Schüler zuwenig wüssten und lernten. Dabei ist in dieser Beziehung eigentlich wenig Neues herausgekommen, jeder der es wissen wollte, wusste von den Defiziten! Jetzt wissen wir zusätzlich, wie die Ergebnisse der deutschen Schulbildung in einer internationalen Rangskala einzusortieren sind.

Was ist wirklich neu an den Ergebnissen von PISA?
Es geht nicht im Wissenslücken im Sinne von auswendig gelernten Fakten, sondern um gravierende Mängel im Verständnis von Texten und von grundlegenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen und Konzepten.
Der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schulerfolg viel stärker ist als bislang gedacht und stärker als in vergleichbaren Ländern. Auch wenn PISA keine Ursachenforschung betreibt, so deutet doch alles darauf hin, dass entscheidende Weichenstellungen in der Kindheit im Elternhaus und Kindergarten erfolgen und später nur schwer zu korrigieren sind.
Zusätzlich fehlen deutschen Lehrern offensichtlich Werkzeuge zur rechtzeitigen Erkennen und Angehen von Problemen.

Was ergibt sich für das Unterrichten an den S I-Schulen?
Das Selbstverständnis der deutschen Lehrerschaft ist zu sehr von dem Bild geprägt worden, was er/ sie während der eigenen Schulzeit erlebt hat. Deutsche Lehrer sind zu sehr darauf orientiert, dass Schule Wissensvermittlung ist und berücksichtigen zuwenig den Aspekt der schülereigenen Wissensaufbaus. Das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch als vorherrschende Unterrichtsform hat sich als problematisch und wenig effektiv herausgestellt.
Der deutsche Unterricht ist von einem pädagogischen Geleitzug-Prinzip geprägt, hier bestimmt die Mitte die Geschwindigkeit: die Langsamen fallen raus, die Schnellen werden gebremst. Das unterrichtliche Umgehen mit Differenzen (auch im Sinne der Förderung von Begabten) ist wenig ausgeprägt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf sowohl bei einer systematischen Professionalisierung der aktiven Lehrer in der Lehrerfortbildung als auch bei der Lehrerausbildung in Universität und Studienseminar.

Klare Vorgaben
Die Schulen und die Lehrer brauchen klare, lebensnahe und überprüfbare Vorgaben. Die gängigen Richtlinien-Texte helfen da nur wenig. Der amerikanische Pädagoge Hirsch brachte es in der Diskussion um ein Kerncurriculum so auf den Punkt:
"Jemand, der zehn Jahre in einer allgemeinbildenden Schule ausgebildet worden ist, sollte am Ende in der Lage sein, eine Zeitung, eine Wochenzeitschrift von mittlerem Niveau komplett zu verstehen."

Lehrerrolle
Statt herkömmlicher Schulaufsicht sind pädagogische Freiräume für die Lehrer und eine Entbürokratisierung erforderlich, verbunden mit einer externen Evaluation. Der deutsche Lehrer ist viel zu sehr Einzelkämpfer, was durch einen fehlenden Arbeitsplatz an der Schule noch gefördert wird. Kollegiale Zusammenarbeit und regelmäßige Fortbildungen in der Schule finden zu selten statt.
In benachbarten Ländern (z.B. Niederlande, Skandinavien) hat es schon lange eine Umorientierung auf eine andere Lehrerrolle gegeben und eine Schulreform, die dies unterstützt hat. Hiervon zu Lernen dürfte fruchtbarer sein als nach Singapur zu schauen.

Den Unterricht in den Mittelpunkt stellen!
Es wird zuwenig unterrichtet. Das betrifft nicht in erster Linie den ausfallenden Unterricht (eine Grundversorgung an Unterricht muss natürlich gesichert sein), sondern den stattfindenden Unterricht! Es gibt einen enormen, bislang ignorierten Anteil an Schulschwänzern, die regelmäßig immer wieder über längere Zeit den Unterricht versäumen (es wird derzeit von ca. 80 000 Dauerschwänzern ausgegangen). Zum andern kommt der Lehrer oft durch Störungen zu wenig zum Unterrichten und ist zu sehr mit Disziplinproblemen beschäftigt, die Schüler kommen in der Konsequenz zu wenig zum Lernen. Die Mitarbeit von Sozialpädagogen und Psychologen innerhalb des Kollegiums wird an der Schule erforderlich.
Der Mathematik-Lehrer ist darüber hinaus als Hauptfachlehrer regelmäßig Klassenlehrer. Die seinerzeit übliche Klassenleiterstunde ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Dadurch fällt viel Zeit für den Unterricht weg, netto 2 Stunden Mathematikunterricht in den Klassen 9 und 10 sind einfach zu wenig!

Die Einstellung zu Lernen und Leistung ändern!
Die PISA-Studie hat offenbart, dass sich deutsche Eltern viel weniger mit der Schule beschäftigen und mit ihren Kindern darüber reden als Eltern in anderen europäischen Ländern.
Die Schüler halten Schule vielfach nur für eine lästige Nebensache und nicht für ihre Haupttätigkeit. Es wird viel mehr Zeit vor dem Fernseher verbracht als bei den Hausaufgaben, statt Arbeiten für die Schule wird in enormen Umfang gejobbt. Schulische Leistungen werden nicht positiv und erstrebenswert gesehen, sondern als Strebertum und Schleimen herabgewürdigt. Das führt dazu, dass hierzulande gute Schüler nicht stolz auf ihre Leistungen sind, sondern oft sogar ausdrücklich versuchen, nicht 'zu gut' zu sein.
Es muss vermehrt möglich werden, Leistung zu fordern und zu fördern, auch müssen Wege gesucht werden, die Eltern wieder vermehrt in die pädagogische Verantwortung einzubinden. nehmen. Dies kann die Schule, können die Lehrer nicht aus eigener Kraft, die Weichen müssen von der Politik gestellt werden und von der Öffentlichkeit genutzt werden!
 

Veröffentlicht in: MNU 5/02, S. 306-307


© Elschenbroich, Mathe-Werkstatt 10/2002