Umgang mit mathematischen Texten

Lehrplan Mathematik S II NRW


„Der im Lehrplan entwickelte Lernbegriff setzt voraus, dass sich Kommunikation und Kooperation innerhalb der Lerngruppe lebendig entfalten können. Gleichzeitig wird die Bedeutung des eigenständigen Lernens betont. In jedem Fall sind die Alltagssprache und die sich entwickelnde Fachsprache Voraussetzungen für ein solches Lernen.

Damit werden die Beschäftigung mit mathematischen Texten und die Produktion mathematischer Texte in Form von Erläuterungen bis hin zum mathematischen Aufsatz zum Unterrichtsgegenstand. Die Schülerinnen und Schüler werden so in die Lage versetzt, auch außerhalb des Unterrichts selbstständig mathematische Probleme angehen zu können, kontrastierend zum Unterricht andere Darstellungsweisen kennen zu lernen und damit ihre fachlichen Kenntnisse zu vertiefen. Dem Wissensmonopol der Schule kann so begegnet werden.

Mathematische Texte begegnen den Schülerinnen und Schülern vorwiegend im Lehrbuch. In Form von Zahlen, von Graphiken und von Statistiken stoßen sie auch in der Presse auf Mathematik, deren Verwendung häufig hier allerdings nicht sehr offensichtlich ist. Zeitungsmathematik sollte daher im Mathematikunterrichts problematisiert werden. Nur wenige Schülerinnen und Schüler werden von mathematischen Schülerzeitschriften oder von mathematischer Freizeitliteratur erreicht.

Im Unterrichtsalltag zeigt sich, dass das Lehrbuch aus den unterschiedlichsten Gründen weder von den Schülerinnen und Schülern noch von den Lehrpersonen als Basis gemeinsamer und individueller Arbeit akzeptiert und meist nur als Aufgabensammlung genutzt wird. Damit wird auf einen wichtigen Aspekt schulischer Arbeit verzichtet. Der Unterricht sollte die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, selbstständig mit dem Lehrbuch zu arbeiten.

Mathematische Texte können Formulierungen von Aufgaben, die Entdeckung mathematischer Sachverhalte, ihre Anwendung und ihren Beweis zum Inhalt haben. Typisch für mathematische Texte ist die Verwendung der Fachsprache einschließlich des Variablengebrauchs und der entsprechenden Notation. Nicht selten bewegt sich die fachsprachliche Darstellung sehr weit entfernt von der Alltagssprache. Sie sichert damit die Korrektheit der Darstellung, erschwert gleichzeitig aber auch verständnisfördernde Assoziationen.

Mathematische Texte haben – gemessen an umgangssprachlichen Texten – eine hohe Informationsdichte und sind häufig als streng lineare Argumentationsketten aufgebaut. Ein nachfolgender Argumentationsschritt kann in der Regel erst dann verarbeitet werden, wenn alle vorausgehenden Schritte verstanden worden sind. Dagegen können bei alltagssprachlichen Texten Verständnislücken gegebenenfalls auch zunächst übersprungen und aus dem Gesamtverständnis gefüllt werden. Bei der Verarbeitung mathematischer Texte müssen Schülerinnen und Schüler gleichzeitig lernen, vorausschauend zu lesen und die erforderlichen Vernetzungen selbstständig vorzunehmen.

Im Unterricht sollten die folgenden Strategien zur Verarbeitung mathematischer Texte entwickelt werden: Schülerinnen und Schüler müssen lernen,

·         Verständnisprobleme auch dadurch zu überwinden, dass sie gegebenenfalls vom Ende der Argumentationskette den Sinn des Argumentationsschrittes erfassen und zurückverfolgen

·         den Text vorzustrukturieren, indem sie sich überlegen, worin die wesentlichen Ideen des Textes bestehen, welche Voraussetzungen gemacht werden und welche Funktion diese Voraussetzungen haben

·         abstrakte, (z. B. mit Variablen formulierte) fachliche Sachverhalte zu veranschaulichen und durch Wahl geeigneter Beispiele zu konkretisieren

·         den eigenen Lernprozess zu kontrollieren. Das kann dadurch geschehen, dass das Verarbeitete reorganisiert wird, dass es auf selbst gestellte einfache Probleme angewendet wird, dass versucht wird, das Gelernte anderen Schülerinnen und Schülern weiter zu vermitteln, etc. Individuelle Lernkontrollen, die gleichzeitig eine schriftliche Darstellung entwickeln helfen, könnten auch darin bestehen, verarbeitete mathematische Sachverhalte schriftlich wiederzugeben und von anderen Schülerinnen und Schülern mit dem vorgegebenen Originaltext vergleichen zu lassen.

·         zu akzeptieren, dass unverstandenes Auswendiglernen nur kurzfristig Erfolge bringen kann.

Um selbstständig mit mathematischen Texten arbeiten zu können, müssen den Schülerinnen und Schülern geeignete fachliche Informationsmöglichkeiten (z. B. Schülerduden Mathematik, Internet, etc.) vertraut und zugänglich sein. Bücher zu aktuellen Fragestellungen (z.  B. zur Chaostheorie), zur "Freizeitmathematik", etc. eröffnen Differenzierungsmöglichkeiten und können zur Vorbereitung von Facharbeiten dienen.“


© Elschenbroich, Mathe-Werkstatt 03/2001