"Was sollen Schulkinder denn im Internet? Müssen Acht- oder Zehnjährige denn mit
Gleichaltrigen in Australien oder Honolulu kommunizieren? Das kann doch kein ernstgemeinter
Beitrag zur Völkerverständigung sein. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es einfacher,
diese Schüler würden mal mit den Kindern in der Nachbarschaft reden. Die kommen
aus der Türkei, aus Spanien, Kroatien oder Portugal.
...
Damit muß man nicht kostbare Zeit in der Schule vergeuden.
...
Um mit Alltagsanwendungen fertig zu werden, müssen Schüler nicht jahrelang mit
Computerwissen vollgestopft werden.
...
Die Kinder müssen in der Schule erst mal lernen zu denken. Und dazu müssen sie den Umgang
mit ihrer eigenen Sprache erlernen.
...
Die Eltern müßten sich wehren und von den Politikern fordern: Laßt die Kinder
nicht ins Internet, sondern bringt ihnen lieber etwas Vernünftiges bei.
...
Erst denken lernen, dann ins Internet schauen. Denn da wird soviel Unsinn verzapft, das ist
unglaublich. Da sollte man Kinder nicht drauf loslassen. Natürlich kann ein Naturwissenschaftler
im Internet excellente, brandneue und erstklassige Informationen finden. Jeder, der genau weiß,
wonach er sucht, hat Chancen, etwas Wissenswertes aus dem Net zu holen. Aber das Gros der Menschen
stochert ziellos in der endlosen Datenflut herum - wie in einem riesig großen Misthaufen."
Wolfgang Bergmann, langjähriger Chefredakteur der 'Deutschen Lehrerzeitung', Lern- und Familientherapeut hat ein Buch veröffentlicht: "Computerkids. Die neue Generation verstehen lernen".
Seine Stellung zu den neuen Medien:
"Das wird unser Bildungssystem und unsere klassischen Bildungsideale - nach dem Motto 'Lernen kommt von Qual' -
total über den Haufen werfen."
"Diese Welt aus fließenden Farben, Licht und Geräuschen ist ungeheuer ästhetisch."
Er sieht aber auch als Nachteil:
"In der Cyberwelt kann jeder maßlos egoistisch sein, ohne daß die Spielkameraden
aufmucken."
Die Wirtschaftswoche schließt den Bericht:
"Statt Kindern die Begeisterung fürs neue Medium auszutreiben, plädiert Lerntherapeut
Bergmann
dennoch seit Jahren dafür, sie zu nutzen, um zu einer Art lustvollen Lernens zu finden, das Kindern
viel eher entspräche."
"Während konservative Bildungspolitiker eine Rückkehr zum Fachunterricht fordern, wollen
die Grünen den fächerübergreifenden Unterricht zum Prinzip erheben. ...
Manfred Lang vom Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel betonte die
guten Erfahrungen mit dem deutschen Forschungsprojekt PING (Praxis Integrierter Naturwissenschaftlicher
Bildung). Rund 200 Schulen versuchen in diesem Projekt, in der Sekundarstufe I die Naturwissenschaften
fächerübergreifend zu unterrichten. Dabei habe sich gezeigt, daß PING-Schüler mehr
Interesse an den Themen entwickelten und auch ihre Lernleistungen den ersten Auswertungen zufolge besser seien.
Für die grüne Schulexpertin Brigitte Schumann steht daher fest: Es sind Projekte wie PING
und BINGO (Berufsorientierte Integrierte Naturwissenschaftliche Gymnasiale Oberstufe), die den
Weg in die Zukunft zeigen.
Für die CDU hingegen ist der fachübergreifende Unterricht allenfalls in den höheren
Klassen sinnvoll. Der Weg zum besseren Lernen führe vielmehr über ein solide fachliche Grundbildung.
Das bedeutet im Prinzip Festhalten an der pädagogischen Alltagspraxis - was die CDU nicht stört.
Zufrieden weist sie darauf hin, daß in den Untersuchungen Bayern und Baden-Württemberg - Länder,
die nicht gerade für pädagogische Experimente stehen - gut abschneiden."
"Westdeutsche Abiturienten sind nach 13 Schuljahren in Mathematik offenbar nicht besser als ihre ostdeutschen Mitschüler nach zwölf Schuljahren. Dies bestätigte gestern der Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Baumert als ein Ergebnis des noch nicht veröffentlichten deutschen Teils der internationalen Vergleichsstudie in Mathematik und Naturwissenschaften ... . Baumert macht für den fehlenden Leistungszuwachs vor allem die Art des deutschen Mathematik-Unterrichts verantwortlich, bei dem zu sehr das Einüben von Routine und weniger das Finden von verschiedenen Lösungsmöglichkeiten im Mittelpunkt stehe. Völlig anders sehe es in Physik aus. Dort brachte das 13. Schuljahr den Westdeutschen einen echten Zugewinn."
Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann berichtete: "Die Eltern folgen offenbar weitestgehend den Empfehlungen
durch die Grundschullehrer."
Bei dieser Umfrage ergab sich Folgendes zum Wahlverhalten:
"Rund 80 Prozent der Eltern folgen danach der Empfehlung für die Hauptschule, wenn keine
Gesamtschule in erreichbarer Nähe war. Gab es jedoch die Möglichkeit, das Kind auf einer
Gesamtschule anzumelden, so entschieden sich 60 Prozent der Eltern potentieller Hauptschüler
dafür. Hingegen wählten nur 15 Prozent jener Eltern, deren Kind die Realschule empfohlen
wurde, die Gesamtschule; bei den potentiellen Gymnasiasten waren es gar nur fünf Prozent.
Beckmann: 'Die Gesamtschule ist, von Ausnahmen abgesehen, weit von einer wirklichen Mischung
unterschiedlicher Begabungen entfernt, sondern bezieht ihre Schülerschaft vor allem aus
dem Hauptschulpool.' "
Beckmann äußerte Sorge um die Zukunft der Hauptschulen, da "sich dann an
einzelnen Hauptschulen eine äußerst schwierige Schülerschaft konzentriert".
In NRW wechseln 1998 etwa 180 000 Grundschüler in weiterführende Schulen. Laut Landesamt
für Datenverarbeitung und Statistik gehen davon 36,1 % auf das Gymnasium, 27,3 % auf die
Realschule, 19,6 % auf die Hauptschule und 16,4 % auf die Gesamtschule.
Gegenüber dem Vorjahr blieb das Gymnasium mit einem halben Prozent Einbuße fast konstant,
die Gesamtschulen hatten 1,7 Prozent Zuwachs und die Realschulen sogar 3,2 Prozent Zuwachs.
Bei der Hauptschule
gab es eine Abnahme von 4,3 Prozent.
"Sport soll in NRW künftig nicht mehr als viertes (mündliches) Abiturfach
gewählt werden können. Dies sei ihm gestern im NRW-Schulministerium bestätigt worden,
erklärte der Vorsitzende des Philologenverbandes, Peter Heesen, auf dem Gymnasialtag
seiner Organisation in Düsseldorf. Im Bemühen um eine Qualitätssteigerung sei
diese Änderung zu begrüßen. Sport sei weniger für die Studierfähigkeit
des Menschen wichtig, als vielmehr für seine Vitalität, betonte Heesen. Deshalb solle
das Fach auch durchgehend dreistündig unterrichtet werden."
Diese Kehrtwendung kommt etwas überraschend, nachdem über Jahre und Jahrzehnte der
Sportunterricht
verwissenschaftlicht wurde, um ihn eben als Abiturfach zu rechtfertigen.
Über Sport als Leistungskurs wurde dabei nichts ausgesagt, es ist es nach wie vor möglich,
Sport als 2. Abiturfach zu haben.
"Die Kultusminister wollen die Leistungen der Schulen künftig regelmäßig testen lassen. Dafür
erteilten sie gestern dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung einen millionenschweren Auftrag,
der zunächst auf vier Jahre befristet ist. Neben den Kenntnissen in Mathematik und Physik
soll auch das Leseverständnis überprüft und nach Ursachen der Mängel geforscht
werden."
Die parteispezifische Interpretation ließ nicht auf sich warten. NRW-Wissenschaftsministerin Brunn sagte,
"wir wollen weg von der Olympiade-Politik und bloßen Ländervergleichen hin zu einer echten Qualitätssicherung
an den Schulen".
Bayerns Kultusminister Zehetmair sprach von einem "Aufbruch zu mehr Leistung in der Schule".
Begründung: "Wir wollen unsere begrenzten finanziellen Mittel besser einsetzen"
erläuterte Dieter Trappe vor dem Hintergrund der Kürzung der Mittel für
die Kölner Schülerhilfe von 1,2 Millionen DM auf 800 000 DM.
Schulministerium, GEW und VBE reagierten mit Skepsis und Ablehnung.
"Alle Tests könnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Klassen
an den Grundschulen zu groß seien, und es den Schulen an Geld fehle. Hier liege
die eigentliche Wurzel des Problems." sagte Wolfgang Rabe von der Kölner GEW.
"Zehn Prozent der Gesamtausgaben fließen in Deutschland in die Bildung.
Es sind Ausgaben, die sich stets bezahlt machen. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Studie
'Lohnt sich Schule?'. ...
Bildungsausgaben zahlen sich für den einzelnen in höherem Einkommen wie in größerer
Arbeitsplatzsicherheit aus. ...
Die Gesellschaft zieht aus höherer Bildung breiter Schichten
Vorteile durch geringere Belastung des Arbeitsmarktes. ...
Ein absehbarer Mangel an Facharbeitern und qualifizierten Angestellten gefährde zudem den
Wirtschaftsstandort Deutschland. Schließlich erhöhe dei bessere Ausbildung auch
die Erwerbschancen der Frauen. ...
Klemm appelliert, den Zugang zur Bildung nicht durch Sparzwänge zu verbauen, sondern alle Konsequenzen zu berücksichtigen.
(NRZ vom 10.2.98)
Auszüge aus der Dritten Internationalen Mathematik- und
Naturwissenschaften-Studie (TIMSS) der IEA.
Ergebnis: Die deutschen Schüler sind in Mathematik und Naturwissenschaften im
internationalen Vergleich nur mittelmäßig.
"Die Ergebnisse sind ausgesprochen besorgniserregend und waren so nicht erwartet worden",
sagte Prof. Bayrhuber vom Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel.
Hier kann man sich über die internationale
Studie und die nationale
Studie (Max-Planck-Institut, Prof. Baumert) informieren. Derzeit ist TIMSS
III für die Sekundarstufe II herausgekommen.
Weitere Informationen und Links gibt es bei der Universität
Bayreuth.
Wie bekannt wurde, gibt es auch in Deutschland Unterschiede zwischen verschiedenen Bundesländern (NRW und Bayern), die einem Lernunterschied von mehr als einem Jahr entsprechen: Ländervergleich NRW - Bayern.
In dem Artikel "Eine 'typische' Mathestunde in Japan und eine in
Deutschland" der
Frankfurter Rundschau vom 27.2.97 verglich der Essener Erziehungswissenschaftler Klaus
Klemm zwei typische Schulstunden:
"Die Stärke der asiatischen Schüler liegt nicht
im Memorieren von Formeln und der Beherrschung von Rechenroutinen, sondern im mathematischen
Denken, im Lösen innermathematischer Probleme und in der Anwendung mathematischer Modelle
und Verfahren auf quantitative Alltagsprobleme."
Von der DMV, der GDM und der MNU gab es eine gemeinsame Presse-Erklärung.
Kommentare, Reaktionen und Schuldzuweisungen gab es in der Folge in der Presse zuhauf.
Interessante Vergleiche jenseits aller Punktskalen gibt eine in Ergänzung zu TIMSS S I
durchgeführte Video-Studie. Die aufgenommenen Stunden sind bemerkenswerte Zeugnisse über
unterschiedliche Unterrichtskulturen in den drei Ländern und geben reichlich Anlass, über
Unterricht nachzudenken.
"Jungen und Mädchen sollen in NRW in einzelnen Fächern wieder getrennt unterrichtet werden können. Der gemeinschaftliche Unterricht solle auf den Prüfstand gestellt werden, sagte Schulministerin Gabriele Behler (SPD) in Düsseldorf. In Modellversuchen habe sich die zeitweise Trennung der Geschlechter in bestimmten Kursen als förderlich für die Mädchen erwiesen. Im kommenden Jahr würden die Richtlinien angepasst. Schulen könnten entscheiden, ob Jungen und Mädchen beispielsweise bei der Einführung in die Computertechnik getrennt unterrichtet werden. Während Mädchen besonders in den Fächern Naturwissenschaften, Mathematik, Technik und Informatik gefördert werden müssten, gebe es bei Jungen Aufholbedarf bei den sozialen Kompetenzen. 'Grundsätzlich halten wir an der Koedukation fest', versicherte Behler."
In der RP vom 26.2.98 sprach die CDU von einem Salto rückwärts, der Deutsche Lehrerverband sah keine Benachteiligung der Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern, die GEW begrüßte die Initiative und das Ministerium stellte klar, dass es für die durch diese Maßnahme bedingte Mehrarbeit keine zusätzlichen Stellen geben wird, sondern dass die Schulen das selbst auffangen müssen.
Aus dem Interview der RP-Online mit dem Schüler C. Uebber, Austauschschüler in Texas; Rheinische Post 18.2.97 .
RP: Was lernt ihr denn in den Computerklassen. Ist der Stoff dem deutschen ähnlich?
U: Nein, viel aktueller. Die Amerikaner scheinen es besser als die Deutschen verstanden zu haben, dass sich die Computerwelt zu schnell weiterentwickelt, als dass man drei und mehr Jahre denselben Stoff in der Schule durchnehmen kann. ...
RP: Wie nutzt ihr als Schüler das Internet?
U: Wir suchen dort Informationen für Hausaufgaben und Schulprojekte. Die ganze Sache verschlingt natürlich Unmengen an Geld. 45 Prozent des gesamten Bildungsetats hier in Texas gehen ins Bildungswesen. Ich bin aber sicher, dass die Schüler hier besser für die Zukunft vorbereitet werden als in Deutschland.
Schriftenreihe des MSW Nr. 56: Wirksamkeit und Zukunft der Lehrerfortbildung in Nordrhein-Westfalen, Abschlussbericht der
Evaluationskommission. Seite 71.
"Das Schule-Halten wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch komplizierter werden, als es heute schon ist,
- weil die Disparitäten bei den Lernvoraussetzungen der SchülerInnen weiter zunehmen werden,
- weil die Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten der SchülerInnen größer werden,
- weil psychische und psychosomatische Behinderungen der SchülerInnen zunehmen,
- weil Wertewandel und Werteerosion die Unterrichtsarbeit belasten,
- weil die Unausgewogenheit der Alterspyramide der Lehrer nicht abgebaut, sondern durch neue Ungleichgewichte fortgesetzt werden wird,
- weil die psychosoziale Belastung der LehrerInnen zunimmt."
"Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so
widersprüchliche Anforderungen stellt:
Gerecht soll es sein, der Lehrer, und zugleich menschlich und nachsichtig,
straff soll er führen, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen, Begabungen
wecken, pädagogische Defizite ausgleichen, Suchtprophylaxe und Aids-Aufklärung
betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hochbegabte Schüler
gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstutzige.
Mit einem Wort:
Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und
Behinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nord-südlicher Richtung zu
führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an
drei verschiedenen Zielen ankommen."